Ranftweg

Via Romea Germanica - ein Pilgertipp

Im ersten Teil seiner Ferien hat Niklaus den Weg der ersten Brüder von 1221, der letztes Jahr in Innsbruck endete, über die bayerischen Alpen weitergeführt. Damit ist die ganze Route jener «Deutschlandmission» von Assisi bis Augsburg zu Fuss nachgezeichnet. 16 Tage hatten die dreissig Brüder damals von der Trienter Etsch bis an den fränkischen Main. Genau soviel Zeit brauchte das Pilgerduo heute. Niklaus beschreibt den Weg, der das Erlebnis der Brüder damals erahnen lässt – und «Nachahmungstäter» inspirieren kann.

Wer den Weg selber nachgehen will, hier die beiden informativen Pilgerführer, die allerdings von Norden nach Süden blicken und begleiten:

Jochen Heinke, Der mittelalterliche Pilgerweg nach Rom. Unterwegs auf der Via Romea vom Thüringer Wald zu den Alpen, (Selbstverlag) 2003,
für die Fortsetzung ab Innsbruck: Ferdinand Treml, Der Pilgerweg nach Rom. Auf der Brennerroute über Padua nach Assisi, Innsbruck-Wien 22018.

 

DonauInn Schongau

29. September:

Wir brachen nach Mittag in Trient auf. Das lässt sich für erste Gruppen von Cäsars Expeditionsschar vermuten, die wohl gleich nach dem gemeinsamen Feiern des "Michaelsfestes" auf den Weg gegangen sein dürften. Eine Kurzetappe führt von Trient der Etsch folgend bis vor die Salurner Klause. Das Flusstal wird bereits von eindrücklichen Bergzügen gerahmt. In Mezzolombardo findet sich westlich dieses markanten natürlichen Engpasses ein Franziskanerkloster der Mailänder Provinz, das heute das Noviziat beherbergt.

 

Das Eingangsbild zeigt den Blick aus der Gegend von Schongau, in der der Weg von der Ammer zum Lech wechselt - mit dem bayerischen Alpenkamm am Horizont. Die ersten Brüder fanden hier nach vielen Bergen und Tälern wieder Kornfelder fast wie in der Heimat.

 

30. September:

Die Salurner Klause markiert den Wechsel vom Trentino nach Südtirol und vom italienischen in den deutschen Sprachraum. Zwischen imposanten Bergen und von Eiszeitgletschern geschliffenen Felswänden breitet sich ein überaus fruchtbares Weingebiet aus. Die Wegetappe führt über das Winzerdorf Tramin, das dem Gewürztraminer dem Namen gab, nach Kaltern. Hier bietet heute das südlichste Franziskanerkloster der Provinz Austria Gastfreundschaft, eine Gründung aus dem Dreißigjährigen Krieg.

 

1. Oktober:

Eine etwas kürzere Etappe führt hinab nach Bozen, die heutige Hauptstadt Südtirols. Unweit des Obstmarktes findet sich das 1237 gegründete Franziskanerkloster. Die gotische Klosterkirche stellt in einer Freskengalerie die bedeutendsten Gelehrten des Ordens dar. Nach Jordans Chronik sorgte auch da der Trienter Bischof Adalbert III. von Ravenstein für die Gastfreundschaft der ersten Brüder und ließ sie predigen. Die Familie des Bischofs hatte ihren Stammsitz unweit von Bozen. Das Franziskanergymnasium in Bozens Altstadt genießt noch heute einen ausgezeichneten Ruf, wie Pilgernde auf der Wegsuche durch die Stadt erfahren.

Zu all diesen Etappen bietet die PTH-Münster ein Weg-Videortagebuch mit Szenen und Statements vor Ort:

Videotagebuch von Assisi bis Trient

 

2. Oktober:

In Bozen trennt sich die Brennerroute vom Etschtal, das sich durch das liebliche Vinschgau nordwärts zieht, wo die Quellgebiete der Etsch weiter westlich in den Ötztaler Alpen am Reschenpass liegen. Die Brüder folgten von Bozen aus dem Eisack-Fluss, dessen tiefe Schlucht allerdings im Mittelalter noch nicht passierbar war. Der Königsweg, dem seit den Ottonen auch Kaiser und Kreuzritter aus Deutschland folgten, erfordert daher einen ersten steilen Aufstieg von 1000 m. Der Höhenweg führt von Oberbozen über Lengmoos und Klobenstein nach Barbian. Auf der gegenüberliegenden Seite der Eisackschlucht türmen sich die imposanten Dolomiten auf.

 

3. Oktober:

Der Königsweg führt nordwärts an den mächtig rauschenden Eisack zurück, an dessen Ufer Klausen wartet. Hoch über dem Dorf thront auf einem Felssporn das Benediktinerinnenkloster Säben. Der Ort war einer der ältesten Bischofssitze Südtirols. Das Kloster wurde eben erst im November 2021 aufgehoben. Der reizvoll angelegte «Kestnweg» führt zielstrebig durch die namengebenden Kastanienwälder in die Bischofstadt Brixen. Hier fanden die ersten Brüder Aufnahme beim schwäbischen Bischof Bertold von Neifen. Im franziskanischen „Kleinassisi“ finden sich heute auf engem Raum die historischen Klöster der Franziskaner, der Klarissen-Urbanistinnen, der Kapuziner und der franziskanischen Terziarschwestern.

 

4. Oktober:

Nahezu Marathondistanz erreicht die nächste Etappe, die den Ufern des Eisack bis nach Sterzing folgt. Waldschluchten, mächtige Felsen und der oft wilde Bergfluss dürften die ersten Brüder mächtig beeindruckt haben. Zunehmend waldig und dünn besiedelt, stellte das enge Alpental auch für die Ernährung ein ernstes Problem dar. Kurz nach der österreichischen Talsperre Franzensfeste aus dem 19. Jahrhundert liegt das Dorf Mittewald auf bereits 800 müM. Eine Pfarrei ist hier erst 120 Jahre nach dem Weg der erste Brüder erwähnt. Wir ziehen durch und erreichen mit Sterzing das letzte Städtchen vor dem Alpenpass. Gastfreundschaft fanden wir im Kapuzinerkloster, das eben kurz vor seiner Aufhebung stand. Die franziskanische Präsenz in Südtirol, 1221 grundgelegt, erfährt aktuell eine rasche Ausdünnung.

 

5. Oktober:

Gut ausgeruht und verpflegt lässt sich der Brennerpass ab Sterzing in 17 km locker ersteigen. Während sich die moderne Brennerautobahn über gigantische Betonbrücken legt, arbeitet sich die Pilgerweg wie die Bahn in Schlaufen gemächlich in die Höhe. Der eben noch mächtige Eisack wird hier zum Bergbach. Die sanfte, heute von einem Dorf mit Bahnhof besetzte Passhöhe markiert mit 1370 müM den höchsten Punkt dieser östlichen Alpenüberquerung. Die Übergänge über die Nordalpen werden unter 1200 müM liegen.

 

DonauInn BrennerNavis6. Oktober:

Jordans Fixpunkten folgend, führen alternative Wege zur Brennerautobahn über 23 km nordwärts ins Dorf Matrei. Anders als die Schweizer Alpenpässe zeigt sich die Brennerroute nicht karg und rau, sondern lieblich, auf beiden Seiten üppig bewaldet und in saftige Wiesen und Weiden eingebettet. Die Diözese Innsbruck hat hoch über dem Dorf Matrei im Weiler Pfons ein topmodernes Bildungshaus St. Michael gebaut, das auch Pilgernde an seinem Kraftsee aufnimmt.

Bild: Das Seitental von Navis an der Brennerroute, kurz vor Pfons. Anders als die Schweizer Alpenübergänge ist jener des Brenners auf beiden Seiten recht lieblich, waldbesetzt und mit saftigen Wiesen und Weiden auch intensiv landwirtschaftlich genutzt.

 

7. Oktober:

Trotz eines nasskalten Regentages ist der weitere Abstieg auf der rechten Flanke des Silltales nach Innsbruck erträglich. Die ersten Brüder werden jedoch auch bei schönem Herbstwetter um die alpentauglichen neuen Kleider froh gewesen sein, die der Trienter Bürger Peregrinus ihnen weitblickend besorgt hatte. Nach insgesamt rund 1000 Höhenmetern abwärts und fünf Wegstunden erreichen Pilgernde von Matrei aus den Inn und die Tiroler Landeshauptstadt. Uns hat sich hier das Provinzialatskloster der Österreichischen Kapuziner gastfreundlich erwiesen.

 

 

DonauInn InnsbruckInn8. Oktober:

Das Inntal prägt den Weg nur kurze Zeit. Dem grünen Fluss aus den Schweizer Alpen folgend, biegt der Handelsweg von Venedig nach Augsburg wenige Kilometer westlich von Innsbruck in Zirl ab und steigt nordwärts steil zum Seefelder Sattel auf. In den imposanten Ausläufern des Karwendel-Gebirges liegt Scharnitz an der deutschen Grenze, die nach einer fordermden Tagesetappe von 30 km erreicht wird. Es ist die bisher kargste, bergigste und härteste Etappe. Die von Jordan geschilderte Hungerkrise ließe sich gut hier situieren, zumal sie mit dem Namen Mittenwald verbunden. Das Dorf gleichen Namens wird morgen erreicht.

Das Bild zeigt den Inn unter einem nahenden Gewitter kurz vor Innsbruck. Unweit von hier verliessen die ersten Brüder das Flusstal, um in die bayerischen Alpen vorzustossen.

 

ViaRomea Fluss6 Isar9. Oktober:

Die Isar, die München durchfliesst, entspringt hier im österreichischen Teil des Karwendelgebirges. Der Weg folgt dem jungen Fluss nordwärts bis ins deutsche Mittenwald. Der Übergang ins Tal der Loisach überascht mit einer antiken Römerstrasse, in der die eingerillten Karrenspuren noch deutlich zu sehen sind. Eine kürzere, doch steilere Alternative führt dicht an den Fuß des Wettersteingebirges, zum Ferchensee und am Schloss Elmau vorbei, das im Juni 2022 zum zweiten Mal den G7-Gipfel beherbergte. Wir waren wenige Tage zuvor dort. Etappenziel nach einer zweiten fordernd langen Bergstrecke ist Garmisch-Partenkirchen.

Bild: die junge Isar nahe der österreichischen Grenze, wie sie den Karwendel verlässt und Richtung Mittenwald fliesst.

 

10. Oktober:

Der Fluss Loisach führt nordwärts zur Ettaler Steige, an der Säumer bis zu 18 Pferde vor ihre Wagenfuhren spannten und deren Flüche noch heute leise von den Felsen hallen sollen. Die Mönche des Benediktinerklosters Ettal konnten die ersten Franziskanern noch nicht beherbergen: Das Kloster entstand erst ein Jahrhundert später zur Zeit Kaiser Ludwigs des Bayern. Westlich des barocken Klosterjuwels entspringt die Ammer, und in Oberammergau dürften sich einige Brüdergruppen schon damals Unterkunft und Nahrung gesucht haben.

 

11. Oktober:

Dem Flüsschen Ammer folgend, lassen Pilgernde aus dem Süden die Alpenwelt hinter sich. Der Weg führt nun durch hügelig-waldreiches Gebiet nordwärts, passiert Moorbadeorte wie Bad Bayersoien und führt durch die tief eingeschnittene Ammerschlucht nach Peiting. 28 Kilometer misst diese Tagesetappe, die kurz vor dem Abstieg an den Fluss Lech endet.

 

12. Oktober:

Bayern wird immer sanfter und lieblicher: Von Peiting ist es nur eine Stunde bis Schongau am Lech. Dessen Lauf begleitet nun bis Augsburg. Heute löst eine Staustufe des Flusses die nächste ab. Ufernahe Wege führen oft duch Naturschutzgenbiete und Vogelparadiese. Über Hohenfurch bis nach Epfach sind es etwas mehr als 20 km. Am Ziel erinnert die Lorenzkirche und ein kleines römisches Museum an die früheste Christianisierung der römischen Provinz Raetia secunda. Die Kirche liegt in einer Flussschlaufe an Ort einer römischen Militarstation, welche die Furt und die Kreuzung der Via Claudia mit der Salzstrasse von Salzburg zum Bodensee kontrollierte. Die antike Via Claudia, die dem Lech nordwärts nach Augsburg folgt, ist seit Schongau mit der Via Romea deckungsgleich.

 

13. Oktober:

Von Epfach, als Abodiacum bereits auf römischen Strassenkarten verzeichnet, sind es dem Fluss folgend bis Landsberg erholsame zwanzig Kilometer, die meist durch ufernahe Wälder führen. Der eben noch so mächtige bayerische Alpenkamm, der mit der Zugspitze über Garmisch-Partenkirchen den höchsten Gipfel Deutschlands markiert, liegt bereits am fernen Horizont. Das Städtchen Landsberg am Lech bildete im Mittelalter die Zollstation zwischen Bayern und Schwaben. Heinrich der Löwe ließ einen sicheren Flussübergang bauen, um den Warentransport vom Bodensee zum neuen Zentrum München zu erleichtern.

 

Das Bild zeigt Christa Einsiedler am Lech kurz vor dem Städtchen Landsberg.

DonauInn LandsbergLech

14. Oktober:

Eine weitere Tagesetappe führt tief ins schwäbische Bayern, wie auch der Dialekt der Einheimischen deutlich macht. Die Landschaft wird immer weiter und sanfter, intensiver für Feldwirtschaft und Ackerbau genutzt und von Dörfern geprägt, die bereits ans Allgäu erinnern. In Scheuring verlassen wir den Lech, um das Kloster Lechfeld zu besuchen. Bis 1993 von Franziskanern bewohnt, hat der Ort nichts die Hunnenschlacht des Jahres 955 zu tun, die Otto I. den Aufstieg zur Kaiserwürde ebnete und Europa aus Jahrzehnten der Plünderungen befreite. Historiker verorten dir «Schlacht auf dem Lechfeld» nördlich von Augsburg. Unser Etappenort ist diesmal Oberottmarshausen, dessen naher Fliegerhorst auf den Ukrainekrieg und neue Bedrohungen aus Osten hinweist.

Bild: Das Kloster Lechfeld - süddeutscher Barock ist festlich und heiter! Die Kirche wurde bis vor 30 Jahren von Franziskanern betreut.

DonauInn KlosterLechfeld

 

15. Oktober:

Um noch einmal durch die Lechuferwälder zu wandern, wählen wir nicht den direkten Weg nach Augsburg, sondern kehren ostwärts auf die rechte Flusseite zurück. Wälder und rauschende Flussabschnitte wechseln sich mit aufgestauten Seen ab. Die Fuggerstadt breitet sich nach 26 Wegkilometern unvermittelt hinter Uferwäldern aus, in denen Wildwasserkanuten auf schnellen Wogen für die Kanuslalom-Weltmeisterschaft vom Juli 2022 üben. In Augsburg beeindruckt uns die franziskanische Präsenz auf dem Areal der gotischen Barfüsserkirche. 

 

Augsburg 2021 - „barfuß im Herzen der Stadt“

Im Zweiten Weltkrieg zerbombt und nur im vorderen Teil als Kirche wieder aufgebaut, ist die mittelalterliche Barfüßerkirche Zentrum einer evangelisch-lutherischen Gemeinde. Im Jubiläumsherbst 2021 war sie mit dem Kreuzgang und angrenzenden Räumen Schauplatz eines zweiwöchigen Programms mit reichen kulturellen und spirituellen Angeboten. Die Initiantinnen, Pfarrerin Gesine Beck und die beiden Dillinger Franziskanerinnen Sr. Veronika Goernert und Sr. Martha Dirr, bezogen dazu die evangelische Barfüßergemeinde, Franziskanerinnen verschiedenster Kongregationen aus Süddeutschland, Brüder aller Zweige sowie franziskanische Freundeskreise und Netzwerke ein. Die Mitwirkenden im Jubiläumsprojekt „Barfuß im Herzen der Stadt“ ließen eindrucksvoll sichtbar werden, wie vielfältig das Charisma heute in Deutschland gelebt wird, das die ersten Brüder 1221 hierher nach Augsburg brachten. 

Auch wir wären, am Michaelsfest in Trient aufgebrochen, rechtzeitig in Augsburg eingetroffen, um hier am 16. Oktober 1221 das Gallusfest mit Bischof Siegfried III. von Rechberg zu erleben. Der Eremit, an dessen Grab im 8. Jahrhundert das Kloster St. Gallen entstand, wird in Augsburg seit 900 gefeiert und die kleine Galluskirche an der Stadtmauer ist heute als ältestes Gotteshaus der Stadt erhalten. Unter anderen dürfte auch Jordans Gruppe am Festtag des Kolumbansgefährten selbst schon vor Ort gewesen sein. Der Chronist erinnert sich vierzig Jahre später gewiss deshalb noch so präzise an das Datum, weil ihm die Feier des irischen Glaubensboten in Südalemannien als sinniger Auftakt zur Deutschlandmission der Minderbrüder erschien. Deren Mission fand in einem bereits tief christlichen Gebiet statt und brachte eine geschwisterliche Vision von Kirche und Gesellschaft über die Alpen. 

«Um das Gallusfest» waren alle Brüderequipen hier wieder vereint, so dass Cäsar von Speyer sie in einem ersten Kapitel auf deutschem Boden auf die «verschiedenen Provinzen» des Neulandes aufteilen konnte (ChronJord 22-23). Cornelius Bohl, bis Sommer 2022 Provinzial der deutschen Franziskaner, fragte sich in Interviews zum 800-Jahr-Jubiläum, wohin wohl heute dreißig Brüder von Augsburg aus ziehen würden, in kleinen Equipen und ohne sich an Klöster zu binden? Eine Frage, in der Zukunftspotential steckt und auf welche die Pfarrerin und die zwei Schwestern auf dem Grund der Augsburger Barfüsserkirche bereits heute eine mögliche Antwort leben: Sie tun es in der Stadt des Anfangs, aus der inzwischen alle Brüder weggezogen sind, und sie tun es schwesterlich, ökumenisch, gut vernetzt und innerlich «barfuß im Herzen der Stadt». (https://www.barfuss-im-herzen-der-stadt.de)